Ich bin Leser und ein leidenschaftlicher Erwerber von Büchern. Ab und zu schreibe ich über das Gelesene. Zu dem, was man landläufig einen Buchblogger nennt, reicht es allerdings nicht, da ich die Angewohnheit habe, viele, ja sehr viele Bücher gleichzeitig zu lesen, was die Lesezeit der einzelnen Werke in die Länge zieht und eine kompakte, das Leseerlebnis in all seinen Facetten umfassende Beschreibung unmöglich macht, ist der Eindruck durch die Lektüre vieler anderer Bücher doch überlagert und verwaschen.
Nur ganz selten gelingt es mir, an einem Buch wirklich „dran zu bleiben“. Dann entstehen auch Texte, die man als Rezension bezeichnen könnte. Nur – das ist nicht das Ziel meines Lesens. Mir geht es nicht darum, Bücher zu konsumieren, um anschließend daraus eine Meinung über deren Qualität zu destillieren, die dann als Leseempfehlung oder Nichtempfehlung serviert wird. Was ich suche, ist das Gespräch. Nicht zwischen mir und einem bestimmten Buch, sondern zwischen den Büchern selbst, während ich selbst nur die Rolle eines Beobachters einnehme. Natürlich formen sich Ansichten, Zu- und Abneigungen, Tendenzen, Vorlieben und hie und da auch Überzeugungsfelsen, die nur noch schwer von der Stelle zu rücken sind. Trotzdem bleibt alles in Bewegung, wie es das Denken auch sein sollte. Das Starre ist der Feind des Geistes. Ideologien sind Garagen für müde Hirne, Raster und Schablonen Gehhilfen für beinlose Gemüter. Eine Bibliothek, deren Bücher nicht fortwährend im Streit sich befinden, ist keine Bibliothek, sondern die Innenwand einer Blase.
Kaum ein Buch ist zufällig in meiner Bibliothek. Die meisten habe ich aus Gründen angeschafft, die mit reinem Interesse nur unzulänglich beschrieben wären. Sie zu erwerben gründete sich in der Überzeugung, genau diese Stimme fehle noch im Chor meiner Bücher.
Bibliothek ist zugegebenermaßen ein großes Wort. Ich denke dabei immer an weite und hohe Räume, gefüllt mit sich bis an den Horizont erstreckenden Bücherregalen. Spreche ich von meiner Bibliothek, meine ich damit die gut 1000 Bücher, die ich in den letzten Jahren erworben habe (zuvor war ich ein leidenschaftlicher Bibliotheksbesucher) und die einen ständigen Unruheherd in meinem geistigen Leben bewirken. Die einen wollen endlich gelesen, die anderen endlich wiedergelesen werden. Nur ganz wenige sind verstummt und haben sich damit abgefunden, einfach nur noch da zu sein, als kleiner Teil einer umfassenden Geschichte, zu der sie nur wenig beigetragen haben.
Was sich in meiner Sammlung tatsächlich verbirgt, ist meine eigene Biografie, die zu schreiben ich mir zwar immer wieder vornehme, aber meist schon scheitere, wenn ich entscheiden muss, auf welche Weise ich sie erzählen möchte. Dann lieber die Bücher reden lassen. Sie können viel anschaulicher das bebildern, was mir aus meinem Leben wirklich als zeigenswert erscheint. Nicht das Aufwachsen und Leben in der Sekte mit all seinen Manipulationen und Missbräuchen, nicht das eigene Versagen, das darin besteht, so lange Mitläufer und Funktionär gewesen zu sein; nicht die sozialen Beben, die der Ausstieg mit sich gebracht hat, sondern die fantastische Reise im Denken, die intellektuelle Abenteuerfahrt, die es bedeutete vom christlichen Fundamentalisten zu einem Menschen zu werden, der sich im Denken keine Fesseln mehr anlegen lassen und den Rest seines Lebens damit zubringen möchte, zu lernen.