Ruud Koopmans, Das verfallene Haus des Islam, C.H.Beck
Kritische Anmerkungen zum Islam werden heutzutage gerne mit Attribut „islamophob“ versehen und, ohne dass eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Inhalten der Kritik stattfindet, als Hassrede diffamiert. Dabei ist Ideologiekritik ein fundamentaler Bestandteil dessen, was gemeinhin Aufklärung genannt wird. Keine Gesellschaft, die sich einer demokratischen Grundordnung verschrieben hat, kann darauf verzichten, die in ihr vorhandenen Weltbilder auf die Kompatibilität mit der eigenen Verfassung zu untersuchen. Die Erfahrung nämlich hat gezeigt, dass Widersprüche hier zu Konflikten führen, die eine Gefahr für die Freiheit aller darstellen, behält die ideologische Sichtweise dabei die Oberhand.
Warum gerade der Islam in dieser Hinsicht ein sehr hohes Konfliktpotential in sich trägt, beschreibt der Soziologe und Migrationsforscher Ruud Koopmans in seinem im Februar dieses Jahres erschienenen Buch „Das verfallene Haus des Islam – Die religiösen Ursachen von Unfreiheit, Stagnation und Gewalt“. In meinen Augen ist der Titel unglücklich gewählt. Er klingt etwas zu reißerisch und nach der Methode Sarrazin alles über einen Kamm scherend. Dass dem nicht so ist, merkt man schon auf den ersten Seiten. Im Gegensatz zu Sarrazin kennt Koopmans das, worüber er spricht aus eigener Anschauung, durch seine Arbeit an der Humboldt-Universität als Professor für Soziologie und Migrationsforschung, durch seine vielen Reisen in islamische Länder und wohl auch durch seine Frau, die aus der Türkei stammt. Und anders als Sarrazin stützt er seine Argumentationen nicht auf fragwürdige Statistiken und zieht daraus Schlüsse, die einer bestimmten Gruppe eine grundsätzliche Unterlegenheit attestieren.
Dennoch musste auch Koopmans sich den Vorwurf des Rassismus gefallen lassen, sowie als Argumentlieferant für AfD und das gesamte rechte Spektrum zu dienen. Das lag zum Teil weniger an seinem Buch, als an seinen Äußerungen in verschiedenen Fernsehsendungen und Talk-Shows, die eine solche Einordnung zwar nicht unbedingt rechtfertigen, aber ihnen bestimmt Vorschub leisteten. Kritik an seinen Forschungsergebnissen dagegen gab es nur dahingehend, dass seine Befragungen zum Teil nicht umfangreich genug gewesen seien. Allerdings stützt sich auch nur ein kleiner Teil seiner Argumente auf eigene Umfragen. Hauptsächlich sind seine Referenzen Statistiken, die von verschiedenen, globale Entwicklungen analysierenden Instituten erstellt wurden.
Bei der Beschäftigung mit dem Islam gilt grundsätzlich, was Koopmans in seinem Vorwort schreibt: „Jeder, der nicht zwischen Kritik an einer Religion und Rassismus unterscheiden kann, sollte dieses Buch beiseitelegen.“
Überhaupt kann bei einer kritischen Einlassung über den Islam von Rassismus nicht die Rede sein, kann ein Muslim doch entweder arabischer, afrikanischer und oder asiatischer Herkunft sein. Es gibt Muslime, die Deutsche, Franzosen, Amerikaner oder Israelis sind. Kritik an der Ideologie der evangelikalen Fundamentalisten in den USA würde niemand als Rassismus bezeichnen, nur weil diesen auch Afroamerikaner angehören, die durchaus in anderer Form Rassismus erleben.
Mich interessierte Koopmans Buch nicht deshalb, weil ich ein Problem mit dem Islam habe und mich in meiner Ansicht bestärken wollte, sondern weil ich Religion generell skeptisch gegenüberstehe und jede Form von Fundamentalismus, sei er nun islamisch, christlich oder von einer politischen Ideologie gespeist, als eine große Gefahr für Demokratie, Meinungsfreiheit und das Prinzip der Gleichheit aller Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, ihrer Herkunft oder sexuellen Orientierung ansehe.
Koopmans widerlegt in seinem Buch Argumente, die man immer wieder zu hören bekommt, wenn man islamistischen Fundamentalismus zur Sprache bringt. Vor allem die Behauptung, sein Ursprung läge in der Unterdrückung durch christliche Kolonialstaaten entkräftet er nachvollziehbar. So findet man den ausgeprägtesten Fundamentalismus heute in Ländern, die nie oder nur kurze Zeit unter der Herrschaft einer westlichen Macht standen. Das gleiche gilt für das Argument, der Islamismus sei eine Folge wirtschaftlicher Ausbeutung durch die kapitalistischen westlichen Staaten.
All diese Erklärungsversuche sind letztendlich eine Entmündigung der betroffenen Personen, beschreiben sie die Islamisten doch als Menschen, die nicht aus eigenem Antrieb handeln, sondern von den Verhältnissen und den Ereignissen der Vergangenheit dazu gezwungen werden, sich zu radikalisieren.
Koopmans sucht einen anderen Ansatz um den heutigen Zustand des Islam und der Länder mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung zu erklären. Und dass dieser Zustand in den meisten Fällen kein guter ist (wirtschaftlich und/oder die Einhaltung der Menschenrechte betreffend), kann jeder erkennen, der mit den globalen Ereignissen auf dem Laufenden ist. Der Autor führt dies auf drei Grundprobleme zurück:
- Die fehlende Trennung von Religion und Staat
- Die Benachteiligung von Frauen
- Die Geringschätzung von säkularem Wissen
Das ganze Buch umkreist die drei Themenkomplexe und führt eine Vielzahl von Beispielen an, warum diese zum großen Teil Schuld sind an den Problemen, denen sich die islamische Welt gegenübersieht, aber auch der einzelne Muslim, wenn es zum Beispiel um die Frage der Integration in eine nichtislamische Gesellschaft geht.
Was aber noch wichtiger ist – und das macht letztendlich den Wert dieses Buches aus, neben der reinen Wissensvermittlung – genau an diesen drei Punkten gälte es anzusetzen, wollte man den Islam reformieren, was ja durchaus der Bestreben vieler Muslime ist, die aber bis heute noch eine deutliche Minderheit darstellen (nicht umsonst lobten Cem Özdemir und Ayaan Hirsi Ali Koopmans Buch ausdrücklich). Zu groß ist noch der Einfluss von Islamverbänden, die vor allem von der Türkei und Saudi-Arabien unterstützt werden. Und zu widersprüchlich auch das Verhalten derjenigen, die zwar jede Form von Rassismus und Stigmatisierung hierzulande laut anprangern, für den Rassismus, der Unterdrückung von Frauen, den Todesstrafen für Homosexualität oder der Abkehr vom islamischen Glauben in Ländern wie Saudi-Arabien oder dem Iran aber scheinbar blind sind. Es fällt ihnen einerseits leicht, Israel für seinen Umgang mit den Palästinensern immer wieder zu kritisieren und zu Protesten und Boykotten aufzurufen, zum Terror, den die Hamas und Fatah in den autonomen Gebieten verbreiten allerdings hörbar schweigen. Die Appeasement-Politik der deutschen Regierung gegenüber diesen Ländern, die gerne auch durch üppige Waffenlieferung begleitet wird, tut ihr übriges.
Ein weiterer Grund sich mit der Argumentation Koopmans auseinanderzusetzten besteht darin, dass die oben erwähnten drei Punkte genauso auf den christlichen Fundamentalismus zutreffen. Er erstarkt vor allem dort, wo er sich mit der politischen Macht verflechten kann wie derzeit in den USA. Er ist explizit homophob und möchte der Frau den ihr gebührenden Platz unter der Führung ihres Mannes als ihr Haupt wieder zuweisen und verurteilt säkulare Bildung, wie zum Beispiel die Evolutionstheorie. Wie in vielen muslimischen Ländern die Grundlage der Gesetze die Scharia bildet, möchten die christlichen Fundamentalisten die Bibel als oberstes Gesetzbuch anerkannt sehen.
Glücklicherweise sind in der christlichen Welt diese Bestrebung bisher noch Randerscheinungen, aber Tendenzen zu einer Rückkehr zu diesen Ansichten sind selbst in demokratischen Ländern zu beobachten. Man braucht nur nach Polen zu schauen, wo sich schon eine große Anzahl von Kommunen als „schwulenfreie Zonen“ bezeichnen.
Koopmans Buch zu lesen lohnt sich vor allem deshalb, weil es einen ungeschönten Blick auf die Auswüchse einer Ideologie wirft, deren Ansprüche den Erfordernissen unserer modernen Zeit nicht mehr gerecht werden. Man mag ihm in einzelnen Punkten widersprechen können, seine Bestandsaufnahme einer Weltreligion verliert dadurch aber nicht an Gültigkeit. Außerdem erinnert es daran, dass Werte wie Gleichberechtigung sowie religiöse und sexuelle Selbstbestimmung nicht selbstverständlich sind und immer wieder aufs Neue gegen unterdrückende Ideologien erkämpft und verteidigt werden müssen.