Welches Geräusch machen Weltbilder, wenn sie zusammenbrechen?

 

 

XII

Bitte parken Sie Ihre Träume nicht vor meinem Kopf

 

Die Ödnis

 

Religion kann vieles sein: gefährlich oder friedensfördernd, sinnstiftend oder nihilistisch, trennend oder vereinend. Sie kann das Höchste im Menschen zum Vorschein bringen und gleichermaßen das Niedrigste. Religion kann sehr spannend und unterhaltsam sein, betrachtet man sie von einem historischen (z.B. Assmann, Sloterdijk, Zizek),literarischen (Eco, Mann, Böll) oder philosophischen (Nietzsche, Kierkegaard, Cioran) Standpunkt aus.

Das sind zugegebenermaßen mehr Außenansichten oder Ansichten von Außenseitern. Es ist aber auch durchaus von historischem Interesse, sich mit Augustinus, Clemens oder Thomas von Aquin auseinanderzusetzten.

Die Innenwelt des religiösen Fundamentalismus neuzeitlicher Prägung dagegen zeichnet sich vor allem durch spirituelle Ödnis und intellektuelle Anspruchslosigkeit aus.

Zwar wird der im ideologischen Korsett Gefangene immer beschäftigt gehalten, gleichzeitig aber einer lähmenden Langeweile ausgesetzt, weil sich die Tätigkeiten und die Informationen ständig wiederholen. Man lernt nichts Neues, sondern das Altbekannte wird bis zum Überdruss wiederholt. Einzig das Bewusstsein um die Wichtigkeit dieser Wiederholung lässt einen bei der Stange bleiben, während man sich gleichzeitig wünscht, es möge endlich aufhören. Das kann es aber erst, wenn das Ziel erreicht ist. Sei es nun das Himmelreich, der Messias oder das Königreich Gottes auf Erden.

Die Langeweile ist gewollt, da sie Kräfte im Gläubigen freisetzt, die notwendig sind, damit er im Sinne der Ideologie tätig bleibt.

Je fundamentalistischer eine Religion, desto überhäufter ist sie mit Ritualen und in gewisser Regelmäßigkeit auszuführenden Handlungen. Das Gebet zum Beispiel. In vielen Religionen sind die Gebetstexte standardisiert und werden, manchmal bis zur Besinnungslosigkeit, wiederholt. Bei den Zeugen Jehovas gab es keine Standardgebete, aber durch diverse Großveranstaltungen wurde eine Art Mustergebets-Mem weitergetragen, wonach sich die meisten öffentlichen Gebete richteten.

Die Innenarchitektur einer Sekte ist von einschläfernder Schlichtheit. Zwar muss man sich im sozialen Gewebe seiner Bewohner erst einmal zurechtfinden, ist dies aber gelungen, kann der Geist friedlich in den ihm angetragenen Gewissheiten ruhen.

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Dieser eine Satz wischt tausende Bücher über die Entstehung des Universums beiseite.

„Ich werde die Mühsal deiner Schwangerschaft sehr mehren; mit Geburtsschmerzen wirst du deiner Kinder hervorbringen und dein tiefes Verlangen wird nach deinem Mann sein und er wird über dich herrschen.“

Geschlechterverhältnisse klargestellt. Gemäß der biblischen Chronologie etwa viertausend Jahre später, legt Paulus noch nach: „Wie in allen Versammlungen der Heiligen sollen die Frauen schweigen, denn es ist ihnen nicht erlaubt zu reden, sondern sie sollen untertan sein, wie auch das GESETZ sagt.“

Der Frage nach Gut und Böse ist auch geklärt: „Denn die ganze Welt liegt in der Macht dessen, der Böse ist…wir aber werden Kinder Gottes genannt.“

Und was die Zukunft betrifft: „Und die Ziegenböcke werden in die ewige Abschneidung gehen, die Schafe aber in das ewige Leben.“

Über das ewige Leben schweigt sich die Bibel aus, die ewige Abschneidung kann aber entweder den Sturz in die Nichtexistenz bedeuten oder unendliche Qual. Für den Gläubigen beides gleichermaßen abschreckende Vorstellungen.

Überhaupt ist der christliche Glaube in seinen Strafen erfindungsreicher als in seinen Belohnungen (weswegen Dantes Hölle auch wesentlich interessanter ist, als sein Himmel). Das war über viele Jahrhunderte auch nicht notwendig, da das Leben der meisten Menschen sich nicht viel von den Höllenbeschreibungen unterschied und die unausgemalte Versprechung eines Paradieses schon reichten, um die gläubige Seele zu beruhigen.

Himmelszeichnungen mit paarungswilligen Jungfrauen sind eine eher moderne Erscheinung, müssen sie doch das im Hier und Jetzt Mögliche übertreffen. Überhaupt ist es das Hauptproblem der Religionen mit der Moderne, dass diese die Langeweile abgeschafft hat mit einem stetig zunehmenden Wissen, mit Zukunftsvisionen und virtuellen Realitäten. Anstatt sechs Schöpfungstagen haben wir nun 14 Milliarden Jahre, statt eines Mannes aus Staub und einer Frau aus einer Rippe einen so weit verzweigten Stammbaum, dass man ihn als Fototapete ausdrücken müsste, um alle Einzelheiten genau erkennen zu können.

Zwei Wege führen aus diesem Dilemma: Der eine ist die islamische Jenseitsfixierung, der andere die christliche Säuberungstheologie. Beide sind dazu angedacht, die althergebrachte Langeweile wieder einzuführen und sämtliche Farbtupfer von den Gebetsteppichen und Kirchenbänken zu entfernen.

 

Zur Langeweile gehören auch Kopftücher und Nonnenkutten, sowie jedes andere in Stoff, Metall oder Holz  gegossene religiöse Bekenntnis. Sie alle übertünchen die argumentative Leere, die den dadurch ausgedrückten Standpunkt umgibt. Zur Langeweile gehören Politiker, die sich jeden Tag die vollgekackte Unterhose der christlich-jüdischen Tradition über den Arsch ziehen und damit Hausieren gehen, nicht gänzlich nackt zu sein.

Mit den Islamisten und christlichen Fundis gleichauf, haben die Rechten die Langeweile wieder für sich entdeckt, indem sie in den völkischen Halbwüsten Totenschädel einsammeln und zum Kauf anbieten. Auch in diesen Regalen wird man keinen einzigen originären Gedanken finden.

 

Die Kunst der Manipulation besteht darin, die Menschen so zu langweilen, dass sie jedes außergewöhnliche Ereignis in einen emotionalen Alarmzustand versetzt, der von den Herrschenden dann beliebig ausgenutzt werden kann.

Die intellektuelle Ödnis ist der Lieblingsort der Populisten und Opportunisten, weil in diesem Klima ihre Anhänger am besten gedeihen.

Wer dagegen anarbeiten möchte, darf nicht in die Falle der Langeweile tappen, denn die Auseinandersetzung mit Religion oder mit rassistischem und nationalistischem Gedankengut ist keine intelektuelle, sondern eine ethische und da geht es weniger darum, wer die besseren Argumente hat, sondern darum, ob jemand ein Arschloch ist oder nicht.