13/XI/18

Gestern traf ich einen Mann, der mir erzählte, es bräche ihm jedes Mal einen Finger, wenn er einen Satz schriebe (egal ob mit der Hand oder auf einer jener altmodischen Maschinen oder auf einer jener neumodischen Tastaturen), meist sei es der Zeigefinger – wahrscheinlich, so nahm er an, weil dieser am vorwitzigsten war – manchmal aber auch einen der Daumen, obwohl diese mit dem Schreiben recht wenig zu tun hätten, zwar fleißig die Leertaste bedienten oder – der rechtshändige – den Griffel stabilisierte, aber ansonsten keinen Einfluss auf das Geschriebene nahmen. Weniger oft träfe es den Mittel- und den Ringfinger, was, so der Mann, wohl damit zu tun habe, dass diese Finger zu sehr damit beschäftigt waren, sich den dritten Platz hinter Zeigefinger und Daumen zu erkämpfen und ihnen das, was sie so dahintippten oder dahinkritzelten im Grunde egal war. Ein kleiner Finger dagegen bräche nur bei Gedichten und Essays über den deutschen Idealismus, weswegen er beides zu schreiben aufgehört habe, obwohl gerade dies seine literarischen Vorlieben gewesen waren, die Lyrik und der deutsche Idealismus, gebrochene kleine Finger aber am meisten schmerzten, was an der anatomischen Eigenheit dieser Handteile läge, denn in ihnen, den kleinen Fingern, wären Knochen, Muskel, Sehnen und Nerven auf so engem Raum ineinander verflochten und verwachsen, dass jedweder Schaden, der ihnen zugefügt würde, sich unweigerlich auf alle anderen Finger auswirke und das Schreiben unmöglich mache, manchmal für Wochen. Tatsächlich sei ihm der gebrochene Mittelfinger am liebsten, nicht nur weil es sehr selten vorkam, sondern weil gerade dieses Glied, wenn ausgestreckt und mit Mull umwickelt, eine unmissverständliche Geste darstellte, hin zum Text, hin zum Leser und auch hin zum Schreibenden, also ihm, und er nicht anders könne, als das von ihm Geschriebene noch gründlicher zu hinterfragen als er es ohnehin tue, wenn es nur den Zeigefinger, den Ringfinger, den kleinen Finger oder den Daumen erwischte. Wobei es ihm wunderte, warum diese Tortur des Fingerbrechens überhaupt nötig sei, da er ohnehin alles was er schrieb anzweifelte, es ihn nicht selten sogar davor ekelte, just in dem Moment, wenn er es niederschrieb, er kaum je einen Satz vollendete, weil dieser starke Widerwille gegen das Hervorgebrachte ihn meistens alles löschen ließ sobald es geschrieben war und er in all den Jahren, die er nun als Schriftsteller lebte, selten über die ersten beiden Worte hinaus gekommen war, er sich gar nicht daran erinnern konnte jemals einen Satz wirklich zu Ende geschrieben zu haben, so groß sei die Übelkeit, die jeder einzelne Buchstaben in ihm erzeugte, aber manchmal, da gelänge es ihm unter kaum zu erdenkenden Mühen. Und dann bräche es ihm einen Finger.

Ich riet ihm, seine Lyrik und seine Essays über den deutschen Idealismus in ein Diktiergerät hineinzusprechen und von einer Person abtippen zu lassen, deren Finger vor diesem ominösen Brechen sicher seien. Es gäbe zum Beispiel in Indien Menschen, die dies für kleines Geld täten und aufgrund der Entfernung bekäme er auch nicht mir, wenn dort dann doch die ein oder andere Extremität zu Bruche ginge. Man könne solche Dienstleister ergoogeln. Es bräuchte dazu auch keine ganzen Sätze.