2018/46

Lektüre

Joachim Fest – Glück als Verdienst. Eine biografische Betrachtung über Golo Mann (Sinn & Form  Heft 4 2004)

Bevor ich überhaupt eine Zeile von Thomas Mann gelesen hatte – obwohl er mir durchaus als literarische Größe bekannt war – las ich den Wallenstein von Golo Mann und seine deutsche Geschichte des 19. & 20. Jahrhunderts. Glaubt man den Biografen – wie in diesem Fall Joachim Fest – so litt Golo Mann zeitlebens darunter, nur der Sohn zu sein. Für mich war sehr lange Thomas Mann nur der Vater jenes Golo, der so wissend, unaufgeregt und auch pointiert über die deutsche Geschichte zu erzählen wusste. Der Vater kam erst später und hat, in meinem Fall, dem Sohn nie den Rang abgelaufen. Mein Interesse an Thomas Mann ist partikular. Den Zauberberg möchte ich lesen, wegen der Zeitbezüge, vor allem der damals vorherrschenden und sich gegenseitig bekämpfenden Denkbewegungen willen. Josef & seine Brüder habe ich gelesen, weil alttestamentarische Erzählungen die Gute-Nacht-Geschichten meiner Kindheit waren und ich diesen etwas entgegensetzen wollte, das sie aus dem mir eingetrichterten Wortwörtlichnehmen herausgreifen und in den ihnen entsprechenden mythischen Kontext einsetzen sollte.

Bei Golo Mann brauchte es diese Umwege nicht. Ich weiß nicht wann ich es lernte, aber eines Tages war die Erkenntnis da: In der deutschen Geschichte gibt es zwei große Unglücke. Den dreißigjährigen Krieg und die Nazizeit. Die Lücken dazwischen mussten ausgefüllt werden. Und da war Golo Mann der richtige Helfer.

Bleibt man beim Biografischen, so lässt sich sagen: er war ein unglücklicher Mensch. Wahrscheinlich auch ein schwieriger Zeitgenosse. Seinen Büchern macht das nichts aus und mag er sich noch so oft in seinem Grab in Kilchberg um die eigene Achse drehen, die Welt geht etwas klüger zu Grunde, weil er über den übergroßen Schatten seines Vaters und seines älteren Bruders sprang, zur Feder griff und anfing zu schreiben.

Fun Fact: In seinen Schriften gibt es nur zwei Personen, die Golo Mann nicht bei vollem Namen, sondern nur mit den Initialen nennt. Der eine ist A.H. Der andere: T.M.

 

 

Axel Honneth – Anerkennung

 

Hume und Smith, zwei englische Philosophen, die sich Gedanken um die Moral machten. Ihre Erkenntnis: Moral entsteht, wenn es einen übergeordneten Beobachter gibt. Dieser aber existiert nur im Kopf eines jeden Individuums und es erhebt sich die Frage, woher dieser Beobachter weiß, worauf er zu achten hat. Wer ist der Souffleur der inneren Stimme? Sie gingen davon aus, es handele sich um ein intrinsisches Bedürfnis nach Anerkennung, um nicht aus dem sozialen Kontext zu fallen. Woher dieser Drang aber stammte, wussten sie nicht zu sagen.

Heute findet man die Antwort in jedem billigen Management-Ratgeber oder den Anweisungen zum Lifestyle Improvement.  Wir sind noch immer die Affen, die wir vor 100tausend Jahren waren. Diese lebten in kleinen Gruppen und der Verbleib in dieser Gruppe entschied über Leben und Tod. Der übergeordnete Beobachter (oder Der große Andere, wie Lacan ihn bezeichnete), ist eine Empathieinstanz in der eigenen Wahrnehmung, die Gedanken und Gefühle anderer Gruppenmitglieder zu antizipieren weiß. Sie gleicht das eigene Handeln stets gegenüber dem von der Gruppe und deren Führern erwarteten ab, um nicht Gefahr zu laufen, aus dem Sozialverband ausgeschlossen zu werden.

Moral ist kein Fels in der Brandung, keine gesetzte Größe oder etwas von „oben“ angeordnetes. Sie ist der durch alle Schichten einer Gesellschaft akzeptierte Modus des Zusammenlebens. Der kann dem entsprechen, was wir heute als akzeptabel und in dem Rahmen der formulierten Menschenrechte passend empfinden, könnte aber auch Menschenopfer, die Behandlung von Frauen als zweitklassige Wesen, die Ermordung von Ungläubigen oder die Verdammung von Empfängnisverhütung  oder außerehelichem Geschlechtsverkehr umfassen.

Neben den Ideologen gilt es sich deswegen auch vor den Moralaposteln zu hüten.

 

 

Linkslesen und Rechtslesen

 

Magarete Stokowski hat eine Lesung in einer Buchhandlung abgesagt, die auch Bücher von rechten Verlagen in ihrem Sortiment hat. Die Buchhandlung argumentiert dahingehend, dass es zur Ermöglichung eines Diskurses zwischen den Lagern notwendig sei, die jeweiligen Standpunkte zu kennen – ergo auch die Bücher lesen zu können, die sich programmatisch der einen oder der anderen Denkweise zuordnen lassen.

Ich mag Magarete Stokowski. Als Mann bin ich in Sachen Feminismus immer auf Hilfe angewiesen und sie hat mir in ihren Texten immer wieder Denkanstöße gegeben, die mich mein Handeln als Mann hinterfragen lassen. Hier aber geht es um mehr. Die Frage, die im Raum steht: Wann darf man jemanden zum Schweigen bringen? Ginge es nach Stokowski, sollten Bücher aus Häusern wie dem Antaios-Verlag nicht in Buchhandlungen zu finden sein. Weil, so ihre Argumentation, selbst wenn jemand sie aus reinen Recherchezwecken kaufte, letztendlich damit die rechte Szene damit unterstütze.

Was Stokowski dabei vergisst: Auch sie unterstütz die rechte Sache alleine durch ihr Vorhandensein. Denn sie schafft ein Feindbild, von dem die Rechten sich trefflich nähren können.

Die Rechten werden nicht stark dadurch, dass ihre Bücher in Buchhandlungen zu erwerben sind. Sie werden stark, wenn die demokratischen Kräfte des Landes sich ihrer Rhetorik anpassen und /oder ihren regressionistischen Forderungen nachgeben. Sie werden stark durch gezielte Propaganda in den sozialen Netzwerken. Bücher spielen bei all dem eine eher kleine Rolle.

Warum also so tun, als wären sie infektiös? Wenn der Buchmarkt ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, dann gehören rechte Bücher dazu, so ekelhaft das auch ist. Oder soll ein Buchladen sauberer sein, als die Straße oder die Stadt in der ich wohne? Weil dies viel einfacher und die gewünschte Säuberung punktuell leichter durchzuführen ist?

Magarete Stokowski Verhalten ist eine Aufforderung an alle: Verbannt die rechten Bücher aus den Buchhandlungen und kauft nicht bei denen, die es nicht tun. Das ist ein durch und durch grüner Ansatz ein Problem zu lösen. Zumal es auch Bücher aus der linken Ecke gibt, die keinen Deut besser sind, das gleiche Verblödungspotential enthalten und, würden sie wirklich gelesen und das Gelesene umgesetzt, genauso eine Gefahr für eine demokratische Gesellschaft bildeten, wie die Pamphlete eines Götz Kubitschek.

Letztendlich zeigt dieser Vorfall, wie vertrackt die Situation ist und wie unsicher viele noch sind, was den Umgang mit den Rechten angeht. Dabei ist die Sache eigentlich ganz einfach: Entweder man macht eine Politik, welche den Menschen eine Grundsicherung garantiert und die Platz lässt für all die vielen Nester, in denen sich der nackte Affe aufgehoben fühlen und nützlich machen kann. Oder man führt irgendwann wieder Krieg und erschießt Nazis.