That’s what I do

Gestern hätte ich mir beinahe ein T-Shirt bestellt mit dem Aufdruck: “That’s what I do. I read books and I know things.“ (Ich habe gegoogelt, woher der Spruch kommt, aber außer Shopping-Seiten, die Shirts mit dieser Aufschrift anbieten und jemanden, der in einem Forum behauptete, Tyrion Lanister hätte diesen Satz in zwei Game of Thrones Folgen gesagt – und von anderen Forumsteilnehmer widerlegt wurde, weil er wohl tatsächlich sagte: I drink and I survive – habe ich nichts gefunden. Auf dem T-Shirt war ein Hase zu sehen, weshalb ich annahm, vielleicht sei es ein Zitat aus Alice im Wunderland, ein Gedanke dessen Abwegigkeit ich nicht einschätzen kann, da ich Alice im Wunderland nie gelesen habe.)

Bevor ich den Bestellbutton anklickte wurde mir aber bewusst, warum ich diesen Spruch so gut fand. Er sagt nichts davon, dass man auch über das Gelesene sprechen würde. Eine mir zutiefst sympathische Selbstgenügsamkeit liegt in jenem „…and I know things“. Es ist frei von jedwedem Überzeugungseifer. Natürlich liegt darüber auch ein Hauch von Arroganz aber wer sagt, die Tatsache etwas zu wissen gehe auch mit der Verpflichtung einher, mit anderen dieses Wissen zu teilen bzw. sie von der Richtig- und Wichtigkeit der gelernten Dinge zu überzeugen? Vor allem, weil das Wissen, das man in Büchern finden kann, jedem, der des Lesens mächtig ist, zugänglich ist.

Mich erinnerte das an eine Szene aus dem Film „Saving Private Ryan“ von Steven Spielberg. Kurz vor der letzten Schlacht unterhält sich der von Tom Hanks gespielte Leutnant mit jenem Privat Ryan, den sie auf Befehl von ganz oben sicher nach Hause bringen sollen. Der junge Mann erzählt dem Leutnant von seinen Brüdern (die alle schon im Krieg gefallen waren) und wie sie das letzte Mal alle zusammen gewesen waren. Dann fordert er den Leutnant auf von dessen Familie zu erzählen, doch dieser sagt nur: „Nein. Das behalte ich lieber für mich.“

Die Weigerung seine Erinnerungen in diesem Moment zu teilen, hatte nichts mit der Person des jungen Soldaten zu tun, sondern mit dem Wert, die sie für den Leutnant hatten und der Überzeugung, dass sie, würde er sie unter diesen Umständen teilen, an Kostbarkeit verlören weil plötzlich etwas Fremdes an ihnen haftete, auch wenn der Soldat nichts darauf erwidert hätte.

Ein T-Shirt mit diesem Aufdruck zu tragen, so dachte ich mir, wäre ein Widerspruch in sich selbst, würde es aus jenem selbstzufriedenen „I know things“ doch wieder ein Statement machen, eine Einladung zum Dialog, den man ja eigentlich verweigert. Also drückte ich den Bestellbutton nicht (es gab noch eine Tasse mit derselben Aufschrift, die aber kostete fast 20 Euro und für das Geld kann man sich ja schon wieder ein oder zwei Bücher kaufen. Außerdem würde ich diese Tasse nur zu Hause verwenden – nähme ich sie mit auf die Arbeit würde ja wieder ein T-Shirt daraus – nur für mich sozusagen und damit zur reinen Selbstbestätigung, die ich nur dann nötig hatte, wäre ich nicht von meiner Meinung überzeugt und müsste jeden Morgen durch eine Tasse ihre Richtigkeit vor Augen gehalten bekommen).

Über Jahre hinweg überlegte ich schon oftmals beim Lesen, wie ich über das Gelesene schreiben könnte, wie neu gewonnene oder schon länger erworbene aber durch die momentane Lektüre erneut bestätigte Ansichten an den Leser gebracht werden könnten. Das tat ich dann auch in meinem Blog, in verschiedenen Foren und sozialen Medien, immer in der Erwartung auf eine Reaktion und mit der Bereitschaft, den eigenen Standpunkt zu verteidigen. Ein, wie ich irgendwann feststellte, sehr ermüdendes und nutzloses Unterfangen. Einzig der Austausch im kleinen Kreis, unter Menschen, die man entweder virtuell, besser aber noch persönlich näher kennengelernt hatte war (und ist nach wie vor) wirklich wertvoll, lag ihnen doch nichts an dem allerorts zu findenden rhetorischen  Kräftemessen, jenem infantilen Meinungspingpong, bei dem es nicht darum geht, den zugespielten Ball zu retournieren, sondern mit jedem Schlag einen neuen Ball ins Spiel zu bringen und, noch bevor dieser übers Netz gegangen ist, die Arme hochzureißen und laut „gewonnen“ zu rufen.

Besser also schweigen? Nicht unbedingt. Zu schreiben und das Geschriebene öffentlich zu machen bedeutet nicht zwangsläufig eine Einladung zum Dialog mit dem Autor, von Facebook, Twitter, Kommentarspalten einschlägiger Nachrichtenseiten und Postings in massenfrequentierten Foren einmal abgesehen.  Aber hier, abseits von den virtuellen Großstädten mit ihrem Getümmel von Selbstdarstellern, Meinungsverkäufern und Zeitgeisterfahrern, von Proselytenmachern und Auf- und Untergangspropheten, wo die Straßen so eng und leer sind, dass keine Sau hindurchzujagen sich lohnte, ist Platz für die Art von Gespräch, die der Mühe des Schreibens wert ist: Das Selbstgespräch des Autors, der sich durch das Schreiben dessen vergewissert, was ihm als Destillat des Gelesenen, Gelernten und Erlebten als Meinung, Schlussfolgerung, Weltsicht etc. im Kopf umherschwimmt und manchmal erst durch Formulierung feste und greifbare Gestalt annimmt.

Mit viel Glück hat er Leser, die dieses Selbstgespräch als Anlass nehmen, mit sich selbst in einen Dialog zu treten. Mit noch viel mehr Glück erzählt der Leser dem Autor von diesem Dialog. Vielleicht aber reagiert der Leser wie der Leutnant aus „Saving Private Ryan“ und sagt: „Das behalte ich lieber für mich.“

Das hat aber keine Auswirkung auf mich als Schreibenden, denn das Schreiben ist nur etwas, das aus etwas anderem, größerem folgt. Nämlich Bücher zu lesen und Dinge zu wissen.