In Frankfurt gelandet nimmt man die Autobahn in Richtung Norden, durchquert den Taunus, hangelt sich an den Fransen des Westerwaldes entlang bis man ins Rheintal hinabsteigt und wieder in Richtung Eifel emporklettert; kommt man von Köln, dann schießt man an Bonn vorbei, übers Ahrtal hinaus und durch die hässliche Pellenz; in Hahn aufgesetzt begrüßt einen der Hunsrück und begleitet bis an die Tore von Koblenz, das man allerdings rechts liegen lässt. Am schönsten ist es von Frankreich aus, über Luxemburg und Trier, vorbei an Wittlich und ungebremst durch die pockennarbige Eifel, aus der man schließlich ins Maifeld hineinrutscht. Egal von woher, irgendwann führt der Weg über hergenommene Straßen an Raps- und Maisfeldern vorbei, unter der Autobahn hindurch ins Dorf, die erste Straße rechts, die nächste links, etwa zweihundert Meter, genau in der Kurve ein Holztor, dahinter ein schmales Haus, im Erdgeschoss aus Bruchstein, darüber auch kein junges Gemäuer mehr aber eine stattliche Klematis, die schon die halbe Fassade erobert hat und dort jedes Frühjahr ihr ganz eigenes Feuerwerk entzündet; der Hof gepflastert mit den für diese Gegend üblichen Basaltbrocken, dann durch eine schwere Tür in einen schmalen Flur, eine knarzige Holztreppe hinauf, rechts das Schlafzimmer, geradeaus das Bad ignorierend, nach links und schon ist man in einem geduckten Raum, der sich zwischen dem alten Haus und dem neuen Anbau befindet und in dem meine Bücher wohnen.
Meine Bibliothek ist die Stadt in der ich seit meiner Geburt lebe. Manche Bücher sind Häuser, andere Straßen, manchmal ist ein ganzes Regal das kleinste Zimmer einer unüberschaubar großen Wohnung. Die Häuser und Straßen meiner Kindheit sind mir gut vertraut, ebenso die Orte und öffentlichen Plätze die ich nahezu täglich besuche. Manche Gegenden aber kenne ich nur vom Hörensagen oder kurzen Ausflügen. Ich freue mich jeden Tag darauf, sie bald zu erkunden. Obwohl es diese Stadt erst seit kurzem gibt, ist sie so alt wie die Welt und auch wenn es paradox klingt, nicht ich habe sie, sondern sie hat mich erschaffen (es gibt hier ein Haus, das voller Paradoxien ist und von dem ich demnächst erzählen werde.)
Die Stadt wächst und die Gegenden, die zu erkunden sind, nehmen eine immer größer werdende Fläche ein. Das ist manchmal verwirrend und immer herausfordernd. Umso mehr genieße ich die Spaziergänge durch die Gässchen und über die Plätze, die mir an Herz gewachsen sind, sitze in den Parks und Gärten, die meine Stadt zu einer schönen machen, beobachte das schon oft Beobachtete und erfreue mich an den Kleinigkeiten, die mir bisher entgangen sind.
In den Gassen der Kindheit gibt es Häuser, die zu betreten mir nur mit einem galligen Lächeln möglich ist. Wie konnte man dort wohnen und sich auch noch wohl fühlen? Wie können heute noch Menschen dort wohnen? Die eigene Familie zumal? Die Bibliothek beherbergt meine Geschichte und das ganz ungewollt. Aber gerade weil es so zufällig erscheint, kann es genau das nicht sein. Und dem möchte ich nachspüren, möchte die Stadt ablaufen, die Straßen erkunden und mich in die Häuser begeben. Um mir selbst dort zu begegnen. Und um zeigen, warum jedes dieser Gebäude und Straßenzüge auf ihre ganz eigene Art und Weise schön ist und wert, besucht zu werden. Oder, warum man besser einen großen Bogen um sie macht.