Nichts ist, wie es scheint.

Nichts ist, wie es scheint, Michael Butter, Suhrkamp

Über Verschwörungstheorien, oder Verschwörungsmythen, wie der Begriff mittlerweile präzisiert wurde, wird in letzter Zeit viel geredet und es gibt über dieses Phänomen zahllose Artikel und Bücher. Erst vor kurzem erschien das Buch „Fake Facts – wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ der Autorinnen Katharina Nocun und Pia Lamberty, das sich umgehend zum Spiegelbestseller mauserte, was das große Interesse an der Thematik bezeugt.

Michael Butter, Professor für amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Universität in Tübingen, veröffentliche sein Buch „Nichts ist, wie es scheint“ schon im Jahre 2018, was ihm natürlich nichts an Aktualität nimmt, auch wenn die Ausblühungen coronabedingter Verschwörungsmythen darin noch keine Erwähnung finden.

Überhaupt ist Butter mehr daran interessiert, Geschichte und Bedeutung des Begriffes „Verschwörungstheorie“ zu erläutern. Ihm liegt ihm nichts an einer raschen Analyse des Jetztzustandes, die lediglich der Befriedigung derjenigen dienen kann, die sich über eine solche geistige Verirrung erhaben fühlen und dagegen immun zu wissen glauben. Viel mehr geht es ihm darum, ein Wissensfundament zu schaffen, das als Werkzeug zur Einordnung dessen taugt, was man heute allerorten zu beobachten glaubt.

Dabei stellt er fest: Bis vor einigen Jahrzehnten war der Glaube an Verschwörungstheorien eine Selbstverständlichkeit. Sie galten, egal ob von religiöser oder politscher Seite, als von höchster Stelle legitimiert. Das änderte sich erst nach 1945 und spätestens ab Mitte der fünfziger Jahre konnte man ein Abwandern der Verschwörungstheoretiker in Subkulturen beobachten.

Dort sind sie, so Butter, bis heute verblieben, auch wenn man das Gefühl haben könnte, es handele sich mittlerweile wieder um eine große, fast globale Bewegung. Was aber hat sich tatsächlich geändert?

Die Ablehnung der gesellschaftlichen Mehrheit was Verschwörungstheorien angeht besteht nach wie vor. Aber vor allem durch das Internet wurden aus verstreuten, nicht oder selten miteinander kommunizierenden Gruppen, plötzlich Gemeinschaften, die sich über Ländergrenzen hinweg über ihre Ideen und Konspirationsmodelle austauschten. YouTube-Videos lösten die nur selten gelesenen Pamphlete ab und in Chatrooms konnte man sich plötzlich mit einer Vielzahl von Gleichgesinnten austauschen. Das vermittelte den früheren Einzelgängern das Gefühl, einer großen Gemeinschaft anzugehören und erweiterte ihren Horizont, was das Ausmaß der Verschwörungen anging. Theorien wurden einander abgeglichen und verschmolzen zu großen, welterklärenden Erklärungsgebäuden in denen sich aufzuhalten für viele einen unwiderstehlichen Reiz ausübte.

Das führte zu einer zweiten Entwicklung, die heute den Eindruck erweckt, Verschwörungstheorien strebten wieder einer allgemeinen Akzeptanz entgegen. Der Verschwörungstheoretiker akzeptierte seine Rolle als Randfigur und bastelte sich aus der Menge an Widerspruch ein passendes Narrativ, welches ihn in seiner Überzeugung nur bestärkte. Derat bewehrt, traut er sich in die Öffentlichkeit, ja sucht sie geradezu und ruft seine Weltdeutung so höhrbar wie möglich hinaus in eine irregeleitete und ungläubige Welt. Die Mehrheit gegen sich zu haben ist ihm Beweis dafür, im Besitz der Wahrheit zu sein. Zumal das Internet ihm mit der von ihm gewählten Filterblase einen perfekten Rückzugspunkt bietet, die Gemeinschaft der Gleichgesinnten, in welcher er argumentativ und emotional wieder aufrüsten kann bis zum nächsten Kampf gegen die Verblendeten und Irregeführten.

Butter schürt keine Panik, noch macht er sich über „Aluhüte“ lustig. Ihm geht es in erster Linie um die wissenschaftliche Untersuchung eines gesellschaftlichen Phänomens. Dennoch macht er sehr deutlich, wo die Gefahren liegen. Wer glaubt, die Erde werde von Reptiloiden beherrscht oder die Mondlandung sei nur ein Fake, schadet damit erst einmal niemanden. Ganz anders sieht das bei Impfgegnern aus oder Reichsbürgern, die meinen sich bewaffnen zu müssen, um sich gegen die BRD-GmbH und die alliierten Besatzungsmächte wehren zu müssen. Und was die Verschwörungstheorie von der Herrschaft des Weltjudentums angerichtet hat, weiß jeder.

Was aber tun? Aus meiner eigenen Erfahrung als fundamentalistischer Christ, und damit Anhänger einer der ältesten Verschwörungstheorien überhaupt, weiß ich, dass Argumente nichts bewirken. Wie schon erwähnt, bestätigt jede Form von Widerspruch nur die Überzeugung im Recht zu sein. Erst die aus eigenem Antrieb angestellte Untersuchung der Fakten kann eine Änderung des Denkens bewirken. Leider verspüren nur die wenigsten einen solchen Impuls. Die Ambivalenz, der sich der Mensch ausgesetzt sieht, die Sehnsucht nach der großen, alles erklärenden Erzählung ist so stark, dass nur wenige, die sich eingebettet und heimisch fühlen in einer alles umfassenden Theorie die Motivation verspüren, diesen sicheren Raum zu verlassen.

Was es braucht, ist eine ausgeprägte Sozial-, Geschichts- und Medienkompetenz. Hier müsste man schon in den Schulen ansetzen. Solange aber das Ziel schulischer Bildung in reiner Wissensvermittlung besteht, nicht aber in der Verleihung der erwähnten Kompetenzen, die Lehrpläne selbst in Form von Religionsunterricht z.B. diesem sogar entgegenwirken, wird es auch immer wieder einen Nährboden für Verschwörungstheorien und -mythen geben. Nur der Mensch, der versteht, dass es einfache und allumfassende Erklärungen für gesellschaftliche und geschichtliche Vorkommnisse nicht geben kann und der gelernt hat, dass eine Meinung, nur weil sie anscheinend von vielen Menschen geteilt wird deswegen nicht automatisch richtig ist, behält die gesunde Skepsis, die notwendig ist, um sich davor zu schützen, hinter allem was passiert, nicht gleich das große Böse zu vermuten. Zu denken, hinter allem verberge sich etwas und nichts sei, wie es scheint.