Gestrandete Wale

Karim dreht am Radio auf der Suche nach Hip Hop.
Das ist geil, sagt er, als er endlich etwas gefunden hat.
Gefällt dir das?
Ich schüttele den Kopf.
Wir sind auf dem Weg nach Tarifa, fahren durch eine blauschwarze Nacht, immer an der Küste entlang. Autoüberführung für unseren Chef, den Russen.
Aber man hört doch so was bei euch, da wo du herkommst, oder?
Ja natürlich, antworte ich. Man hört da alles.
Karims Spanisch klingt wie ein Hobel, der über Holz fährt. Er zischt die Sätze durch den halb geöffneten Mund. Zieht dabei die Nase ein Stück nach oben, als hätten die Worte, die er spricht, einen schlechten Geschmack.
Warum magst du kein Hip Hop? will er wissen.
Ist mir zu brutal, antworte ich.
Ha, meint er lachend, das sagt ja genau der Richtige.

Kurz hinter Cadiz machen wir eine Pause, um etwas zu essen. Als wir wieder aus der Bar kommen, steht ein junger Farbiger vor unserem Auto.
Könnt ihr mich mitnehmen?, fragt er.
Wohin willst du?, frage ich.
Algeciras, zu den Fähren.
Nach Tanger?
Ja, von da aus weiter.
Wie weiter?
Weiter halt.
Karim lacht und meint: Kerle wie du reisen eigentlich immer in die andere Richtung.
Kerle wie du auch, sage ich.

Der Junge heißt Roberto.
Wo kommst du her?, frage ich ihn.
Ecuador.
Na, dann bist du aber weit weg von zu Hause.
Genau wie du, erwidert er und ahmt dabei meinen Akzent nach.
Was willst du in Tanger? Arbeit gibt’s für euch da keine.
Ich suche keine Arbeit. Ich will nur nach Afrika, mehr nicht.
Nach Afrika, sagt Karim, das versteh’ mal einer. Wo da doch alle wegwollen.
So wie du?
Ach halt’s Maul.

Karim kam zum Russen, als seine neunmonatige Arbeitserlaubnis abgelaufen war, er aber ums Verrecken nicht nach Marokko zurückzukehren wollte. Wahrscheinlich hatte ihn die Schufterei in den Gewächshäusern das Gehirn schon völlig weichgekocht. Er fuhr zunächst mit dem Bus von Almeria nach Fuengirola. Dort lümmelte er einige Tage herum, bis ihn einer seiner Landleute, die auf der Strandpromenade Drogen an Touristen verkaufen, mitnahm. Irgendwo trafen sie dann den Russen, der ihm einen Job anbot und bestimmte, dass Karim mit mir auf Tour gehen sollte. Ich konnte nicht widersprechen und auch später nichts mehr daran ändern, obwohl mir Karim von Anfang an lästig war wie ein unerzogener Hund.

Ich hatte in Guayaquil eine Spanierin kennengelernt, erzählt Roberto, Paula. Sie arbeitete in einer Stiftung, die sich um Straßenkinder kümmert. Nebenbei besuchte sie die Universität, an der auch ich studierte. Wir verliebten uns. Nach einem Jahr wollte sie nach Spanien zurück, um ihren Abschluss zu machen und Lehrerin zu werden. Ich sollte unbedingt mitkommen. Wir heirateten noch in Ecuador, damit ich leichter eine Arbeitserlaubnis für Spanien erhalten konnte. Paulas Eltern und Geschwister hatten einen ordentlichen Schrecken bekommen, als sie plötzlich mit einem Schwarzen auftauchte, noch dazu verheiratet. Es gab eine Menge Tränen und Ärger. Einige Monate ging das gut, aber am Ende musste sie sich doch zwischen mir und der Familie entscheiden. Das fiel ihr dann leichter, als ich es mir vorgestellt hatte.

Wenn ich mit dir nach Deutschland käme, fragt Karim, würden die mich dann für einen Terroristen halten?
Schlimmer, sage ich, sie würden dich für jemanden halten, der nicht arbeiten, aber vom Staat Geld kassieren will.
Dann komme ich besser nicht, oder?
Wahrscheinlich.
Ich habe immerhin keinen Bart, sagt Karim.
Ja, immerhin das.

Wieso Afrika?, frage ich Roberto.
Genau weiß ich es auch nicht. Ich kann ja hingehen, wo ich will. Also warum nicht nach Afrika?
Er hält einen Moment inne und schaut aus dem Fenster. Dann spricht er weiter. Seine Stimme ist sanft und hat etwas Fliehendes. Als wäre sie mehr zum Singen, denn zum Sprechen gemacht.
Mir ging es viel besser, als den meisten meiner Landsleute, die in der Hoffnung kommen, hier eine Arbeit zu finden.
Wir hatten eine schöne Wohnung, Paula konnte weiterstudieren und ich verdiente gar nicht so schlecht. Irgendwann begann ich von Afrika zu träumen. Von einer hohen Wand aus Pflanzen, so grün und dicht, dass es einen zu umarmen schien. Dazwischen überall lachende schwarze Gesichter und im Hintergrund ein Fluss aus weißem Sand.
Woher willst du wissen, dass es Afrika war?
Keine Ahnung. Es war ein Traum. Er fing an, als Paula sich entschied, mich zu verlassen.
Warum gehst du nicht zurück zu deiner Familie?
Die sind enttäuscht von mir. Sie hatten geglaubt, ihre Situation würde sich verbessern, weil ich eine Europäerin geheiratet hatte. Geld, Reisen, all das, was sonst nicht möglich war. Natürlich geben sie mir die Schuld dafür, dass es mit Paula schiefgegangen ist. Und jetzt haben sie Angst, ich könnte ihnen auf der Tasche liegen wenn ich zurückkomme.
Dann also lieber nach Afrika?
Genau. Ist ja im Grund genommen auch meine Heimat.
Ein bisschen krank ist das schon, oder?

Karim dreht wieder am Radio.
Was suchst du denn?
Ghamedi. Kennst du den?
Nein.
Der ist echt geil.

Als ich vor drei Jahren an der Costa del Sol aufschlug, besaß ich nur ein paar Klamotten und das Geld, das ich meiner Mutter gestohlen hatte. Tagelang lief ich von einem Hotel zum anderen und fragte nach Arbeit. Danach versuchte ich es in Bars und Restaurants, zuletzt auf Baustellen. Schließlich entdeckte ich ein Geschäft, das Wasserfilter verkaufte und für den Haustürverkauf jemanden suchte, der deutsch und englisch sprach. Ich stellte mich vor und bekam den Job. Also zog ich los, die ganze Costa del Sol entlang, eine Siedlung nach der anderen, von Villa zu Villa. Dort gibt es von allem etwas: Schweizer, Engländer, Deutsche, Skandinavier, Araber und einen Haufen Osteuropäer. Anfangs dachte ich, das Geld läge dort auf den schönen Teerwegen, die sich zwischen Pinien und Hibiskussträuchern hindurchschlängeln, aber nichts da. Nach drei Monaten hatte ich gerade mal vier beschissene Filter verkauft und wurde entlassen. Was nicht weiter schlimm war, konnte ich in dieser Zeit doch die Gegend erkunden. Außerdem traf ich ein paar interessante Leute. Darunter auch den Russen. Der wohnt in einem Goldpalast, direkt in Sierra Blanca. Das Gebäude sieht aus wie der Kreml, nur etwas kleiner.
Dem Russen gehören mehrere Restaurants. Er handelt zudem mit Immobilien, wobei seine Kunden ebenfalls alles Russen sind. Dazu noch die Vermietung von Luxuskarossen. Alles so Geschichten, bei denen man Leute braucht, die nicht ganz auf den Kopf gefallen sind und Dinge von einem Ort zum anderen bringen, ohne groß darüber zu quatschen.

Roberto schaut wieder aus dem Fenster. Der Strand leuchtet in der Dunkelheit wie ein weißer Bart, der aus den heranspülenden Wellen wächst.
Da liegt etwas, sagt er.
Sieht aus wie Treibgut, meint Karim.
Ich halte den Wagen an und wir steigen aus.
Das ist kein Treibgut, sage ich. Das sind Wale oder Delphine.
Zu klein für Wale, sagt Karim bestimmt.

Wir gehen hinunter zum Strand. Je näher wir kommen, desto offensichtlicher wird, dass Karim recht hat. Es sind keine Wale. Etwa zwei Dutzend schwarze Körper liegen auf dem Sand. Ein paar dümpeln in der Brandung.

Roberto betrachtet die Leichen, dreht sie um, öffnet ihre Hände, berührt ihre Lippen.

Siehst du, sagt Karim zu Roberto, Afrika kommt dir schon entgegen.

Lasst uns weiterfahren, sage ich. Die Küstenwache wird hier bald auftauchen.

Ich bleibe, sagt Roberto.

Wie du willst, sage ich und gehe mit Karim zurück zum Auto.

Als die Sonne aufgeht, sind wir in Tarifa. Dort tauschen wir den Wagen und machen uns auf den Weg nach Marbella. Am Abend gammeln wir am Jachthafen herum und schauen uns die Frauen und die Autos an. Auf einem der Schiffe serviert ein Schwarzer Getränke. Über der Stadt leuchtet die Villa des Königs von Saudi Arabien in hellem Weiß. In einem Cabrio mit deutschem Kennzeichen sitzt ein älterer Herr. Ich frage ihn, ob er uns auf ein Bier einlädt.

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