Radio Paradies

„Guten Abend und hallo liebes Deutschland. Hier ist Euer Radio Paradies, ich bin Peter Opatsky und wir haben für Euch wieder das Neueste aus Gesellschaft und Kultur. Und wie jedes Mal, begrüßen wir auch heute einen Gast im Studio. Ich darf euch vorstellen: Betsy Schwindelig, die bekannte Sportjournalistin und Autorin des Bestsellers ‚Die Todesjäger‘. Herzlich willkommen Betsy!“

„Vielen Dank Peter. Ich freu mich hier zu sein.“

„Und wir freuen uns erst. Wir haben nicht jeden Tag eine Bestsellerautorin zu Besuch. Vor allem keine, die so gut aussieht – wenn ich das sagen darf. Leute, geht auf unsere Seite und klickt auf die Studio-Cam. Ihr werdet sehen, ich habe nicht übertrieben. Betsy ist Oberliga.

Wie sieht’s aus Betsy, wollen wir gleich loslegen?“

„Gerne Peter.“

„O.K. Betsy. Wie kamst du auf die Idee, ein Buch über Todesjäger zu schreiben? Was hat dich daran fasziniert?“

„Auf die Idee hat mich Paul Philips gebracht. Ich interviewte ihn vor drei Jahren, als er die Baumgartner-Challenge gewonnen hatte. Vor der Aufnahme tranken wir einen Kaffee zusammen und sprachen über zukünftige Projekte. In dem Zusammenhang erwähnte er die Todesjäger und dass er da gerne mal mitmachen würde. Wir vertieften das Thema aber nicht. Einige Tage später, als ich meine Notizen durchsah, stieß ich wieder darauf. Zwar hatte ich schon von den Jägern gehört, meinte aber, das sei eher etwas für Nerds als für richtige Sportler. Wenn sich aber Paul Philips dafür interessierte, dachte ich mir, dann musste eigentlich mehr dran sein. Ich fing an zu recherchieren und zwei Wochen später traf ich mich mit Solveigh Hartmann, der erfolgreichsten Jägerin in Deutschland. Sie nahm mich dann auch auf meine erste Jagd mit.“

„Solveigh Hartmann – durch dein Buch mittlerweile sehr bekannt – wir haben sie am Telefon. Hallo Solveigh!“

„Hallo Peter, hallo Betsy.“

„Hallo Solvi.“

„Solveigh, wie war das mit Betsy? Hat sie genervt oder konnte man mit ihr was anfangen?“

„Betsy war klasse. Eine 1a-Jägerin. Hatte den Dreh sofort raus. Bei unserem Sport kommt ja viel zusammen. Wir müssen gut vernetzt sein, immer die Augen offen haben, unser Revier in und auswendig kennen. Und sobald wir eine Fährte aufgenommen haben, wahnsinnig schnell sein. Es gibt nichts Schlimmeres, als eine Minute zu spät zu kommen und die Arbeit von Stunden, manchmal sogar Tagen ist völlig umsonst.“

„Wo bist du gerade Solveigh?“

„In London. Bei einem Treffen mit unseren Kollegen hier aus der Stadt. “

„Erfahrungsaustausch sozusagen.“

„Ja, genau. Wir gehen gemeinsam auf die Jagd, beobachten, wie unsere Freunde hier vorgehen und erzählen, was wir anders machen.“

„Das hört sich nach viel Spaß an.“

„Den haben wir, definitiv.“

“Dann wünschen wir dir noch eine interessante Zeit in London. Mach es gut Solveigh.”

“Tschüss Peter, Tschüss Betsy.”

„Ciao Solvi.“

„Gut Betsy, wir machen jetzt ein paar Minuten Werbung und dann erzählst du uns, wie so eine Jagd genau abläuft.“

 

                        *

 

„Willkommen zurück bei Radio Paradies. Ich bin Peter Opatsky und bei mir ist die Sportjournalistin und Buchautorin Betsy Schwindelig. Betsy, wie funktioniert das mit den Todesjagden? Wie geht man da vor? Was braucht man dazu?“

„Das erste was man braucht ist ein Team und ein Revier. Die Jäger nehmen meist Landkreise. Ist das Team nicht so groß oder ist das Revier sehr ergiebig, konzentriert man sich auf zwei oder drei Gemeinden. Die Jäger müssen ihr Revier sehr gut kennen und wissen, wo potentielle Ziele sein könnten. Ergiebig sind Orte mit einem hohen Anteil an religiösen Fundamentalisten, politischen Extremisten, bildungsresistenten Zukurzgekommenen und gelangweilten Mittelständlern. In den wohlhabenden Gegenden passiert selten etwas. Die befriedigen ihre Bedürfnisse eher im privaten Rahmen.

Jeder im Team bekommt einen Bezirk zugewiesen, den er ständig überwacht. Vor allem über die sozialen Netzwerke. Hier merkt am ehesten, wenn sich etwas zusammenbraut. Natürlich geht man auch auf politische Veranstaltungen oder Demonstrationen. Man besucht Bürgertreffen und kulturelle Events, die ein gewisses Konfliktpotential haben. Je besser er seinen Bezirk kennt, umso schneller merkt der Jäger, wo sich etwas abspielen könnte.“

„Worauf achtet der Jäger? Woran merkt er: Mensch, da könnte gleich etwas passieren?“

„Es braucht zunächst eine Gruppe, deren emotionaler Grundzustand schon über das herkömmliche Unzufriedenheits- oder Frustrationsniveau hinaus angespannt ist. Dieser Gruppe gegenüber muss eine Minderheit stehen, die für das Übel verantwortlich gemacht wird. Wird die Gruppe nun entsprechend geführt und bekommt ein Mitglied der entsprechenden Minderheit in ihre Gewalt, nehmen die Dinge ihren Lauf. Der Jäger muss also antizipieren, welche Gruppe in dieser Hinsicht am anfälligsten ist und ob irgendwelche Ereignisse eine bestimmte Gruppe motivieren könnte, tätig zu werden.“

„Was passiert dann?“

„Der Jäger ruft sein Team. Ziel ist, dass alle zusammen sind, bevor es zur Tat kommt. Nur wenn die ganze Gruppe die Hinrichtung beobachtet, ist es eine gelungene Jagd. Auf der anderen Seite gelten falsche Alarme als Niederlage und ein Jäger, dem das drei Mal hintereinander passiert, muss das Team verlassen. Genauso verhält es sich, wenn der der Jäger ein Vorkommnis in seinem Bezirk nicht mitbekommt. Öfter als drei Mal darf ihm das nicht passieren.“

„Knallharter Sport.“

„Ja. Einige Teams haben mittlerweile die Zwölf-Monats-Klausel eingeführt, nach der am Ende eines Jahres alle Misserfolge gestrichen werden. Ich denke, das wird sich langfristig durchsetzen.“

„Was ist das Ziel der Teams? Besser zu sein als die anderen, möglichst viel Likes auf Facebook zu bekommen, oder sich selbst immer wieder zu übertreffen?“

„Natürlich steht jedes Team in Konkurrenz zu allen anderen Teams hier Deutschland und auch der ganzen Welt. Ziel ist es, im Territorium eines Teams keinen einzigen Lynchmord zu verpassen und bei jedem mit dem ganzen Team dabei gewesen zu sein. Wer das erreicht, gehört zu den ganz Großen. Likes interessieren weniger, wobei natürlich die Präsentation der Erfolge in den sozialen Medien eine große Rolle spielt. “

„Anstrengung will auch anerkannt sein. Das verstehen wir, glaube ich, alle.

Wir machen jetzt noch einmal ein bisschen Werbung und dann erzählt Betsy uns von ihrer ersten Jagd.“

 

*

 

„Radio Paradies im Gespräch mit Betsy Schwindelig, Autorin des Buches „Die Todesjäger“ und Betsy wird uns jetzt von ihrer ersten Jagd berichten.“

„Ich war mit Solveigh unterwegs. Ihr Bezirk liegt im Taunus, nördlich von Frankfurt. Sie hat dort einige Brennpunkte, evangelikale Gemeinden zumeist, aber auch Sadistenzirkel aus Handwerkermilieus, Orte unter Scharia-Gesetzgebung, Esoteriker-Siedlungen. Diesmal aber landeten wir in einem gemischten Stadtteil mit eher gemäßigter Anwohnerschaft. Banale Sache eigentlich. Es fanden dort immer wieder Einbrüche statt, aber da nie Spuren hinterlassen wurden, gab es für die Polizei keinerlei Anhaltspunkte. Einer der Geschädigten schrieb auf Facebook, er vermute, dass der alte Schrotthändler, der jeden Samstag durch die Siedlung fuhr, es weniger auf Altmetal abgesehen hätte, als zu erkunden, wo sich das Einbrechen lohne. Sein Posting bekam reichlich Zustimmung von Freunden und Nachbarn. Hier wurde Solveigh hellhörig, wobei sie meinte, die Sache könne sich schnell verlaufen, wenn nicht mehr passierte. Aber man müsse es im Auge behalten.”

“Und Betsy, ist noch mehr passiert?”

“Allerdings. Bald darauf wurde in der Siedlung nämlich wieder eingebrochen, diesmal aber ein Kindermädchen, das den Eindringling ertappte, schwer verletzt. Im Netz wurde daraus schnell ein Angriff auf das Kind, welches dem Kindermädchen anvertraut worden war. Als auf Twitter gepostet wurde, das Kindermädchen und auch das Kind seien gestorben, rief Solveigh ihr Team zusammen: Treffpunkt vor der Hofeinfahrt des Schrotthändlers. Als wir ankamen, hatten schon die ersten das Tor aufgebrochen und kurz darauf wurde der Schrotthändler aus dem Haus gezerrt. Sie banden ihn an eines der Metallgestelle, die in dem Hof standen und trennten ihm mit einer Flex zuerst Hände und Füße, dann den Kopf ab. Solveigh postierte ihr Team so, dass alle auf dem Bild waren, während im Hintergrund der Schrotthändler seine Füße verlor. Ein voller Erfolg.“

„Solveigh, unser Champion!“

„Oh ja, das ist sie. Sie hat eine wahnsinnige Menschenkenntnis, sie weiß, wie die Leute ticken. Als das mit dem Kindermädchen passierte, war ihr klar, jetzt eskaliert es. Solveigh ist im Schnitt immer drei Minuten vor Beginn eines Lynchens mit ihrem Team vor Ort. Das schafft so gut wie niemand.“

„Wie halten die Jäger sich fit? Du hast ja bei deiner Arbeit an dem Buch mit sehr vielen gesprochen? Haben sie einen Trainingsplan, oder macht es jeder irgendwie anders?“

„Natürlich ist es sehr individuell und von Team zu Team verschieden. Schwerpunkt bei allen ist aber das Empathie-Training und die Verfeinerung der social skills. Jeder Jäger hat Dutzende von Fake-Accounts und muss in der Lage sein, in verschiedene Rollen zu schlüpfen, um immer an die neusten Informationen zu kommen. Dazu kommt die Handhabung diverser Überwachungs- und Abhörtechniken.“

„Was ist mit Waffen?“

„Waffen ist ein absolutes No-Go. Oberstes Motto ist: Niemand kommt zu Schaden.“

„Betsy, das ist alles furchtbar spannend und wir könnten die noch die ganze Nacht zuhören, aber du hast ja noch einen Termin. Deswegen die letzte Frage: kannst du uns noch irgendetwas Lustiges erzählen, was du mit den Jägern erlebt hast. Eine Anekdote sozusagen?“

„Lass mich überlegen… Ich war mit einem Team am Starnberger See unterwegs. Es gab zunächst einen falschen Alarm. Ein Lehrer hatte angeblich eine seine Schülerinnen misshandelt oder einfach nur angefasst. Ihr Vater fuhr mit einigen Freunden zum Haus des Lehrers, aber als sie ankamen stand da schon die Polizei und ein Krankenwagen. Der Lehrer, so erfuhren wir über einen Informanten, hatte einen Fön in sein Badewasser fallen lassen. Das Team war natürlich enttäuscht und es entstand eine hitzige Diskussion darüber, ob es nun Selbstmord war oder vielleicht die Frau des Lehrers das Badewasser unter Strom gesetzt habe. Alle redeten durcheinander. Außer Lazlo, dem der Bezirk zugeteilt war und der nun schon den zweiten Fehlalarm innerhalb einer Woche auf dem Konto hatte.  Er stieg aus dem Auto, zündete sich eine Zigarette an und starrte in den Himmel. Ich ging zu ihm und sagte, beim nächsten Mal würde es bestimmt klappen. Und er sagte: ‚Ich hasse die Schuldigen. Die gehen entweder zur Polizei oder machen selbst Schluss. Für einen guten Lynchmord brauchst du einen Unschuldigen. Der rennt nicht weg, sondern stellt sich der Situation. Aber es gibt einfach zu wenig Unschuldige.‘ Einen Moment war es still, aber dann mussten wir beide laut loslachen. Das war einfach zu gut. Es gibt zu wenig Unschuldige.“

„Das ist großartig Betsy. DU bist großartig. Vielen Dank für deinen Besuch und liebe Leute da draußen, kauft „Die Todesjäger“ von Betsy Schwindelig. Ihr werdet es nicht bereuen.

Auf Wiedersehen Betsy.“

„Auf Wiedersehen Peter. Und vielen Dank!“

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