Jan Assmann ist Ägyptologe und fleißiger Erforscher des Monotheismus und seiner Ursprünge.
In seinem neuesten Buch „Totale Religion“ untersucht er den Zusammenhang von Gewaltbereitschaft und religiösem Totalitarismus, wie er in den monotheistischen Religionen zu finden ist. Dabei geht es um die Frage, ob die brutale Durchsetzung eines Alleingültigkeitsanspruches in der Religion selbst begründet ist, oder ob es eine andere Ursache dafür gäbe. Und tatsächlich findet er eine Alternative zur gängigen Interpretation, die alttestamentarische Exklusivitätsideologie sei per se gewaltfördernd. Nicht die Idee, es gäbe nur einen Gott birgt die Gefahr des Exzesses, sondern die Unterwerfung des Religiösen unter das Politische. So sei der Monotheismus eines Abraham noch von universalem Charakter gewesen, die Bündnistheologie eines Moses dagegen ausschließend und aus dem Nebeneinander ein Gegeneinander machend. Dies geschah durch die Politisierung der Religion, die Gott den gleichen Hoheitsanspruch verschaffte, wie sie absolutistische Herrscher der damaligen Zeit (vor allem der Assyrer und Babylonier) für sich beanspruchten.
Assmann stützt seine Argumentation mit einer Analyse der politischen und religiösen Situation in der die alttestamentarischen Texte geschrieben/zusammengestellt/redigiert wurden und sieht in der jüdischen Gesellschaft um 600 vor Christus ein ähnliches Aufeinandertreffen von Weltoffenheit und puritanischem Reinheitswahn, wie wir ihn auch heute wieder, vor allem in der islamischen Welt, aber auch in dem wiedererstarkenden christlich/evangelikalen Fundamentalismus beobachten können.
Das ist schlüssig argumentiert und zum großen Teil nachvollziehbar. Schade nur, dass Assmann gegen Ende des Buches zur einer Apotheose religiösen Denkens ansetzt (als sei er selbst erleichtert über die Ergebnisse seiner Untersuchungen). So schreibt er: „Im Gegenteil scheint Religion das einzige Mittel zu sein, das dem Menschen gegeben wurde, Gewalt – soziale und politische – einzudämmen und ihr nicht Gegengewalt, sondern eine andere Macht entgegenzusetzen.“
Zwar gesteht er ein, die eine Wahrheit, die alles andere ausschließt gäbe es nicht, und es sei auch nicht „einzusehen“, dass Religion mit Gewalt etwas zu tun habe, behauptet aber, Religionen hätten einen unschätzbaren Anteil an der Humanisierung des Menschen und der Bewohnbarkeit der Welt geleistet. Das abschließende Bonhoeffer-Zitat „Gott ereignet sich, wo immer an ihn geglaubt wird“ rundet diese „In der Gottesvorstellung kommt der Mensch erst wirklich zu sich“- Stimmung der letzten Seiten ab. Was er völlig außer Acht lässt ist die Tatsache, dass die Frage von Gewalt und Religion nicht nur eine sich gegenseitiger bekämpfender Ideologien ist, sondern inwiefern sie auch die Munition für Gewalt innerhalb der gesellschaftlichen Struktur einer durch eine bestimmte Religion geprägten Gemeinschaft liefert. Die puritanische Verschärfung zeigt sich eben nicht nur im religiös motivierten Terrorismus, sondern auch im Ehrenmord, in der männlichen Bestimmungshoheit über den weiblichen Körper, sexueller Bevormundung, Ablehnung alternativer Lebensmodelle und Wissenschaftsfeindlichkeit. Aber gerade dieser Gewalt fallen wesentlich mehr Menschen zum Opfer, als den Versuchen totalitärer Glaubensrichtungen politische Macht zu erlangen.
Lesenswert ist dieses Buch trotzdem.
Jan Assmann, Totale Religion – Ursprünge und Formen puritanischer Verschärfung, Picus Verlag Wien, ISBN 978-3-7117-2045-0