Gut möglich, dass man bei dem Begriff “Literaturzeitschrift” zuerst an ein buntes Magazin denkt, angefüllt mit Rezensionen neu erschienener Bücher, Kommentaren mehr oder weniger bekannter Schriftsteller und Kritiker, Essays zu aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Themen, Jubiläen und Jahrestagen berühmter Autoren, Stellungnahmen zu Buchpreisverleihungen und einer Menge leserorientierter Werbung. Das alles eifrig bebildert mit Portrait- oder zeitdokumentarischen Aufnahmen, mit Zeichnungen oder Montagen, die alle ihren künstlerischen Anspruch schon beim oberflächlichen Draufschauen geltend machen. Weniger eine Zeitschrift über Literatur, eher ein Informationsblatt des Buchmarktes.
Mit Literaturzeitschriften verhält es sich wie mit Wahlplakaten: Je mehr Text, desto weniger Aussicht auf Erfolg. Zum Glück gibt es bei den Blättern, die sich dem geschrieben Wort widmen keine Fünfprozenthürde. Man muss nur bereit sein, zu bezahlen. Dann erhält man nämlich etwas, was den Titel „Literaturzeitschrift“ wirklich verdient.
Wie zum Beispiel dieses wunderbare Exemplar, das heute in meinem Briefkasten war:
Auf Sinn & Form bin ich gestoßen, weil ich ein regelmäßiger Hörer des Deutschland Radio Kultur bin. Einmal war Matthias Weichelt zu Gast, der damalige stellvertretende Chefredakteur von Sinn & Form, und sprach über die Themen der neusten Ausgabe. Daraufhin bestellte ich mir das Heft. Ich war begeistert. Sie enthielt einen Essay über Saint-Exupéry, Norman Maneas Gedanken über Cioran, ein Gespräch mit Enzensberger, Auszüge aus dem Briefwechsel zwischen Hilde Domin und Hannah Arendt, Briefe von Klaus Mann, eine Dankesrede von Durs Grünbein und vieles mehr.
Sinn & Form ist auf eine besondere Weise zeitlos, weil sie nicht auf Aktualität ausgerichtet ist. Jede Ausgabe hat einen thematischen Rahmen, der aber so weitläufig gesteckt ist, dass er meist nur schwer zu erkennen ist. Aber gerade das macht die Lektüre niemals langweilig. Man kann sich bedenkenlos ältere Jahrgänge bestellen, die darin enthaltenen Artikel und Texte haben nichts von ihrer Qualität verloren, weil es sich dabei um Literatur handelt und nicht um bloße Stellungnahmen zu gerade durchs literarische Dorf gejagten Säuen.
Und ja, Sinn & Form hat seine Wurzeln in der DDR. Dieses Echo ist auch heute noch zu verspüren, aber nicht in ideologischer Hinsicht, sondern in einer gewissen Affinität zu osteuropäischen Autoren. Inhaltlich lässt Sinn & Form die Vergangenheit nicht ruhen. Sie scheut weder den Rückgriff auf die Nazizeit, noch auf Leben und Schreiben im Kommunismus. In der neuesten Ausgabe finden sich Tagebuchaufzeichnungen über die letzten Tage Ingeborg Bachmanns. Das klingt nach trockener Literaturgeschichte, ist aber lebendige Vergegenwärtigung einer einzigartigen schriftstellerischen Hinterlassenschaft.
Alle zwei Monate erscheint Sinn & Form. Sechs Mal im Jahr kann man also ein Geschenk in seinem Briefkasten vorfinden. Und im Bücherregal fügt es sich ein in ein vielbändiges Dokument literarischen Schaffens und unermüdlicher Geistesarbeit.