Die Kreuzigung

„So etwas hatten wir schon lange nicht mehr“, sagt Erzapfel zu seinem Assistenten Hagen. „Ein Kreuz mit jemanden drangenagelt.“

„Besonders angestrengt haben die sich aber nicht“, bemerkt Hagen. „Mal eben schnell zusammengekloppt sieht das aus. Keine Facharbeit.“

„Aber es hat seinen Zweck erfüllt, lieber Hagen. Der Leiche ist ja noch gut anzusehen, wie viel Mühe das Sterben gekostet hat.“

Erzapfel betrachtet noch ein wenig das Kreuz.

„Und wem haben wir das zu verdanken?“ will er wissen.

„Dem Dorf da unten. Zweihundert Seelen, ungefähr“, antwortet Hagen und zeigt auf eine kleine Ansammlung von Häusern am Fuße des Hügels, auf dem sie sich befinden.

„Dann lassen sie uns mal gehen“, sagt Erzapfel.

 

Man bringt die Dorfbewohner in der Kirche zusammen. Auf den Bänken sitzen die Männer. Die Frauen stehen und haben die Kinder unter ihren Röcken verborgen.

Es wäre Zeit zu bekennen, wird ihnen gesagt. Alle schweigen jedoch und blicken dumm oder verächtlich.

„Sie reden nicht“, sagt Hagen zu Erzapfel.

„Sie werden reden“, erwidert dieser. „Die Menschen sind auf ihre schlechten Taten genauso stolz, wie auf ihre guten.“

Aus den Frauen bricht es schließlich hervor.

„Er hat unsere Töchter verführt auf die Straße zu gehen“, rufen sie. „Und unsere Männer, sie von dort abzuholen.“

 

Erzapfel (zu Hagen): „Sehen Sie?“

Und nach einer kurzen Pause: „Sorgen sie dafür, dass ein gescheiter Zimmermann besorgt wird. Und Holz. Reichlich. Genug für 200 Kreuze.“

„Was ist mit den Kindern?“, will Hagen wissen.

„Beeindrucken sie mich doch mal mit ein wenig Eigeninitiative.“

„Nun, ich würde sie an die Füße der Eltern nageln.“

„Das ist“, stellt Erzapfel fest, „eine Idee, die ihre Ausbildung bis zu diesem fortgeschrittenen Stadium rechtfertigt, Hagen.“

 

Später treffen sie ihren Vorgesetzten. Der grüßt freundlich und fragt, was es denn gegeben hätte.

„Ach nichts weiter“, antwortet Erzapfel, „nur eine Kreuzigung.“

„Und, haben sie das geregelt?“

„Natürlich. Wie immer.“

„Ich ruf derweil mal an, dass zweihundert Neue kommen“, sagt Hagen und greift zum Telefon.

„Vergessen Sie die Kinder nicht!“

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