Judas

Amos Oz, Judas, Suhrkamp Verlag,

Die widersprüchlichste, und damit interessanteste Figur des Neuen Testamentes ist zweifellos Judas Ischariot, jener Jünger, der Jesus um den Preis von dreißig Silberlingen verriet und sich, nachdem er den Frevel seiner Tat erkannte, an einem Baum erhängte. Die Widersprüchlichkeit ergibt sich nicht nur aus der uneinheitlichen Beschreibung jener Ereignisse in den überlieferten Berichten, sondern vor allem dadurch, dass die eigentliche Motivation des Verräters nicht deutlich wird. In den synoptischen Evangelien heißt es lapidar: „Der Teufel fuhr in Judas.“ Johannes dagegen erzählt, Judas hätte die gemeinsame Kasse der Jünger verwaltet und sich daraus Geld für sich entwendet. Das deutet auf Habgier als Motiv für den Verrat. Nur – 30 Silberlinge waren damals nicht viel Geld und der Name Ischariot (Mann aus Kariot) legt nahe, dass Judas nicht aus armen Verhältnissen stammte.

Dennoch wurde Judas zum Sinnbild der Niedertracht, zum Archetyp der Treulosigkeit. Zwar gab es im Laufe der Jahrhundert immer wieder Gelehrte, die zu seinen Gunsten argumentierten, aber diese Stimmen wurden von den christlichen Meinungsführern rigoros unterdrückt. Zu glücklich war man mit dem Verräter Judas, zu gelegen kam ihnen dieses Feindbild, vor allem wenn es darum ging, Juden hinzuschlachten.

Über die Frage, was Judas nun wirklich antrieb, herrscht bis heute keine Einigkeit. Noch immer versuchen sich Theologen und christliche Historiker daran, eine Erklärung zu finden, die alle vorhanden Widersprüche aufhebt, ohne den profanen Standpunkt jener einzunehmen, die alle Geschichten rund um Jesus nur für eine Erfindung halten und sämtliche Ungereimtheiten in den vorhanden Schriften auf die unterschiedlichen Intentionen der jeweiligen Schreiber und ihrer Auftraggeber zurückführen.

Für den Literaten dagegen liegt der Reiz der Judasfigur gerade in dieser nicht aufgelösten Zwiespältigkeit. Sie kann als Sprungbrett für wilde Theorien dienen, wie sie zum Beispiel Jorge Luis Borges in „Drei Fassungen von Judas“ einem dänischen Gelehrten in die Feder diktiert. Dieser kommt letztendlich zu dem Schluss, Judas sei der eigentliche Messias und Gottessohn gewesen.

Amos Oz geht in seinem Buch Judas einen anderen Weg. Er lässt seinen Protagonisten das Verhältnis der Juden zu Jesus erforschen. Der Verräter Judas wird dabei zum einzigen Menschen, der wirklich an die Göttlichkeit Jesu geglaubt hatte und ihn nur deswegen verriet, damit dieser es vor den Augen aller bezeuge, indem er unversehrt vom Kreuz stiege und danach Rache an seinen Feinden übte. Gespiegelt wird diese Theorie in der Geschichte, die Oz erzählt. Denn die unnahbare und geheimnisvolle Frau, in die sich sein Protagonist verliebt, ist Tochter eines ehemaligen Weggefährten von Ben-Gurion, der in Ungnade gefallen war, weil er sich gegen die Gründung des Staates Israel ausgesprochen hatte. Die Vision eines friedlichen Zusammenlebens von Arabern und Juden – vergleichbar mit Judas Glauben an Jesu Friedensutopie – ohne die gewaltsame Errichtung eines Staates, ließ ihn in den Augen aller anderen als Verräter dastehen.

Amos Oz Geschichte spielt in den späten fünfziger Jahren. Da haben alle schon einen hohen Preis für den Kampf um einen jüdischen Staat bezahlt. Ob dieser gerechtfertigt war und man lieber doch auf den „Judas“ hätte hören sollen, bleibt offen. Die Ambivalenz, welche die Person des Judas Ischariot umgibt, legt sich über das hier Erzählte und man wird Zeuge davon, wie Literatur das tut, was sie am besten kann: Nachdenklich Fragzeichen in eine Welt pflanzen, die voll ist von willkürlich aufgestellten Ausrufezeichen.

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Amos Oz, Judas, Suhrkamp Verlag, ISBN-10: 3518424793

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