Wen wählen? Teil 6

Der Tlönfahrer hat die Wahl. Aber nicht mehr viel Zeit.

02. März 2016 – noch 11 Tage bis zur Wahl

 

Gestern gab es das TV-Duell zwischen Malu Dreyer und Julia Klöckner. Meiner Ansicht nach ging es unentschieden aus, aber mehr dazu im nächsten Teil.

 

In Zeiten, in denen rechtspopulistische Parteien starken Zulauf erfahren, ist zu wählen mehr als nur das Wahrnehmen eines verfassungsmäßigen Rechtes. Es ist ein Akt der Selbstverteidigung.

Alle Parteien, die nun noch auf meiner Liste stehen, zeichnen sich durch eine dauerhafte Präsenz im politischen Diskurs unseres Landes aus. Selbst die FDP ist nicht wirklich ganz von der Bildfläche verschwunden. So stieß Christian Lindners Rede über den Umgang mit dem Rechtspopulismus auf breites Interesse und fand viel Zustimmung.

Die Linke spielt in der westdeutschen Landespolitik zwar keine große Rolle, ist aber doch in den Landesparlamenten von Bremen, Hamburg, Hessen und dem Saarland vertreten.

Die Platzhirsche sind natürlich CDU, SPD und Die Grünen.

 

Und da ist noch die AfD, bei der ich mir überlege, ob es sich lohnt, auch nur ein Wort über sie zu verlieren. Aber es muss wohl sein. Liest man sich ihr Wahlprogramm durch, so stößt man auf Vorhaben und Forderungen, die man bei anderen Parteien wie der ödp, den Freien Wählern, der FDP und ALFA auch findet. Vieles davon hört sich vernünftig an, manches davon ist sogar dringend notwendig (z.B. die Verbesserung der ärztlichen Versorgung auf dem Land).

Die Aufmachung des Wahlprogramms ist der AfD wirklich gelungen. Das ist hell und freundlich, wirkt professionell und durchdacht und nirgends findet man die braune Rhetorik, welcher sich ihre Kollegen von der NPD oder dem Dritten Weg bedienen.

Träten alle AfD-Politiker so auf, wie sich die Partei auf ihrer Internetseite darstellt, man hätte wohl ein anderes Bild von der Partei. Aber dann hätte sie nicht so einen großen Zulauf von Rechts und von denjenigen aus der Mitte, denen Angst und Ressentiment den Blick vernebeln.

Aber selbst ohne Höcke, Petry, Gauland, von Storch und wie sie alle heißen, wäre die AfD für mich unwählbar. Ihr Denken ist ausgrenzend und reaktionär. In ihrem Konservatismus schlummert eine latente Aggressivität, die nur darauf wartet, sich Bahn zu brechen, sobald sie die Gelegenheit bekommt.

Nur ein Beispiel:

Die AfD-Rheinland-Pfalz bekennt sich klar zum Leitbild der Familie aus Vater, Mutter und Kindern. Diese Familien sind für den Fortbestand unserer Gesellschaft von unersetzbarer Bedeutung. Andere Formen menschlichen Zusammenlebens, die keinen reproduktiven Beitrag zum Erhalt unseres Landes leisten, verdienen Toleranz und Respekt, nicht aber staatliche Förderung. Eine Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe lehnen wir aus diesem Grund ab. Die Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare ist für uns mit dem Kindeswohl nicht vereinbar.

In ihrem Grundsatzprogramm sagt die AfD, auch Religionskritik gehöre zur Meinungsfreiheit. Dem stimme ich zu. Aber ich bin davon überzeugt, sie meint damit vor allem Islamkritik. Man beachte einmal folgenden Wortlaut:

Der Respekt vor der Schöpfung gebietet es, auch Tiere mitfühlend und würdevoll zu behandeln…Zur grundgesetzlich geschützten Würde der Menschen gehört auch, dass sie ihre freie Zeit ungezwungen im Kreis von Familie und Freunden, beim Sport, in der Natur oder mit der Verfolgung privater Interessen verbringen können. Den Anforderungen des Wirtschaftslebens müssen Grenzen gesetzt werden, denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein.

Das ist ein christlicher Duktus, der sich immer wieder in den offiziellen Verlautbarungen der AfD finden lässt.

Über die Verflechtung christlich-konservativer Kreise mit der AfD hat Liane Bednarz einen interessanten Artikel geschrieben.

Als Atheist und Mensch, der in einem christlich-fundamentalistischen Milieu groß geworden ist, stehe ich Religion grundsätzlich sehr skeptisch gegenüber. Was den Islam betrifft, so ist er in vielen seiner Ausprägungen und dort, wo er politische Macht hat, eine menschenverachtende Ideologie, die zu den Werten der Aufklärung und humanistischem Denken in krassem Gegensatz steht.

Zwar kommen mit den vielen Flüchtlingen immer mehr Muslime nach Deutschland, und mit ihnen auch nicht wenige, die man durchaus als Fundamentalisten bezeichnen könnte was die Auslegung ihrer Heiligen Schriften betrifft, die Gefahr einer Islamisierung Deutschlands oder Europas sehe ich dadurch aber (bisher) nicht.

Mehr Sorgen macht mir die Reaktion unsere Gesellschaft auf diese Konfrontation mit Menschen, die ihren Glauben noch ernst nehmen. Parteien wie die AfD und die CSU möchten dem ein starkes Christentum entgegenstellen, anstatt den Prozess der Säkularisierung wirklich zu Ende zu bringen und damit allen Religionen den Platz zuzuweisen, der ihnen gebührt – im Privaten.

 

In dem Verdacht, sich dem Christentum anzubiedern, steht Die Linke wahrlich nicht. Ihre Sympathien gehören einem anderen Traum, aus dem man allerdings auch dachte, schon längst aufgewacht zu sein.

Was mir Die Linke sympathisch macht: Sie ist auf Bundesebene im Moment die einzig wirkliche Opposition. Während die Grünen meist nur ein bisschen herummaulen – man will es sich mit den momentanen Koalitionspartnern auf Landesebene und den eventuellen nach der nächsten Bundestagswahl nicht ganz verderben.

Es ist Die Linke die hauptsächlich den Job einer Opposition macht, indem sie konsequent eine Gegenposition zum Handeln der Regierung vertritt. Und den ein oder anderen Politiker in ihren Reihen hat, der auch in der Lage ist, sie außerhalb des Plenums lautstark zu vertreten. In Zeiten, in denen die SPD ihre soziale Leitidee zugunsten der bloßen Machtpartizipation aufgegeben hat, ist eine Partei wie Die Linke, die ständig auf die sozialen Probleme in der Gesellschaft und der immer geringer werden Teilhabe großer Bevölkerungsteile am Wohlstand der Gesellschaft und des Staates hinweist, eine Notwendigkeit. Wichtig auch, ihr konsequenter Pazifismus als Widerspruch zur stetig wachsenden Bereitschaft der Bundesregierung, mit militärischen Mitteln in bewaffneten Konflikten zu intervenieren.

Es ist egal, welche Position man selbst vertritt, die Demokratie lebt vom Widerspruch, dem Aufzeigen von Alternativen und der kritischen Begleitung einer jeden Regierungshandlung. Die Linke hält die Demokratie in Deutschland mehr am Leben, als es viele wahrhaben, bzw. wahrhaben möchten.

 

Dennoch habe ich zwei sehr große Probleme mit der Linken.

Das erste ist ihre Sympathie für Putin, bei gleichzeitiger Verteufelung des Westens im Allgemeinen und der USA im Besonderen. Eine umgekehrte Position halte ich für ebenso wenig zielführend, weil sie mit dem gefährlichen Gut-Böse-Schema spielt, das immer dazu angetan ist, extreme Positionen hervorzurufen.

Es ist die Frage nach dem kleineren Übel. Sicher, der Westen ist in Form der Nato und der EU Russland immer näher auf den Pelz gerückt. Anderseits haben es sich die Osteuropäischen Staaten selbst ausgesucht und sind nicht in ein Bündnis gezwungen worden. Ausschlaggebend war, neben handfesten wirtschaftlichen Interessen, die Angst vor dem großen Nachbarn. Die Ereignisse in Georgien und später in der Ukraine gaben ihnen Recht. Dass die Nato sich bei all dem Verhalten hat – und noch verhält – wie ein Elefant im Porzellanladen und das frühe Einmischen westlicher Staaten in den inneren Konflikt der Ukraine diesen zusätzlich anfeuerte, steht außer Frage. Genauso unzweifelhaft ist für mich aber auch der russische Expansionswille im Sinne einer immer größeren Einflussnahme in Europa und dem Nahen Osten. Dabei spielt die Flüchtlingskrise Putin in die Hände, ist doch sein Hauptgegner – die EU mit Deutschland, als stärkstes Glied – gerade mit sich selbst beschäftigt und ringt darum, sich nicht gegenseitig zu zerfleischen. Putin wäre nicht Putin, würde er nicht versuchen, die Position der Schwäche für sich auszunutzen. Die Versuche, auch hier in Deutschland Einfluss auf das politische Geschehen zu nehmen, sind offensichtlich, werden von der Politik aber noch nicht genügend wahrgenommen, um gezielt dagegenzusteuern.

 

Mein zweites Problem betrifft den latenten, manchmal aber auch ganz unverhohlenen Antisemitismus der Linken. Kaschiert wird das als Israelkritik, bedient sich aber der gleichen Stereotypen und Argumentationsmuster. Das Schlimme dabei, nicht nur Israel wird dafür kritisiert, dass es seine Existenz verteidigt, die Feinde einer freien und demokratischen Gesellschaft, wie z.B. die Hamas, werden unterstützt und zu Freiheitskämpfern und Märtyrern hochstilisiert. Zu Hause kämpft man für Gleichberechtigung und hisst Regenbogenfahnen, ein paar tausend Kilometer südlich aber werden die bejubelt, die Homosexuelle an Baukränen aufhängen, Frauen verschleiern und kleine Mädchen verheiraten, während sie die einzige Demokratie im ganzen Nahen Osten, das einzige Land, in dem die von den Linken vertretenen Ideale in weit größerem Maße gelebt werden als in ihrer Heimat, dämonisieren, es als Apartheidstaat und Besetzungsmacht verleumden und sich auch von billigen bis ekelhaften Nazivergleichen nicht zurückhalten. An dieser Stelle scheitert auch der von den Linken propagierte Pazifismus, weil sie offen Bewegungen unterstützen, die sich die Vernichtung des Staates Israel und aller Juden nicht nur auf die Fahnen, sondern sogar in ihre Satzung geschrieben haben.

 

Natürlich sind nicht alle Linken Antisemiten und Putin-Apologeten. Viele wollen dieses Land wieder sozialer gestalten, was ein begrüßenswertes Ziel ist. Es lässt sich aber nicht leugnen, dass gerade die Partei Die Linke in ihrem Gepäck noch ein ordentliches Stück von Ideologierest mit sich herumträgt, der sich dem demokratischen Grundgedanken verwehrt und nach dem wohlwollenden Diktat sehnt.

 

Das ist auch ein Problem der Grünen. Zwar haben sie sich von einer Protest- zur Lifestyle-Partei gewandelt, die immer dort, wo sie (mit)regiert, ihre Ideale auf dem Altar des Pragmatismus opfert (wie alle Parteien, die politische Macht erlangen), kann aber ihre Kindheit nicht ganz leugnen und neigt wie die Linke zur Bevormundung. Wobei das bei den Grünen mittlerweile wie ein Gouvernantentum erscheint, als seien sie ständig entsetzt darüber, dass es immer noch Menschen gibt, die mit ihren Benimmregeln nichts anzufangen wissen.

Für das Wahlprogramm der Grünen gilt das gleiche, wie für das der Linken:

Man denkt an sehr vielen Stellen: Ach wäre es doch so. Manchmal sogar: Das muss doch zu schaffen sein.

Leider ist Politik nicht so einfach und bei der Entscheidung, welcher Partei man seine Stimme gibt, kommt mehr zum Tragen, als noble Ideen. Vor allem dann, wenn sie schon seit langer Zeit auf der politischen Bühne agieren.

 

Etwas sehr interessantes habe ich auf der Seite der Grünen gefunden. Das Wahlprogram in leichter Sprache.

Dort gibt es einfache Aussagen, die mit entsprechenden Bildern oder Symbolen (Daumen hoch, Daumen runter z.B.) versehen sind, damit auch wirklich jeder versteht, was gemeint ist.

Zunächst mag man denken, das sei eine gute Idee. Andere Parteien haben auf ihren Seiten verkürzte Wahlprogramme. Das von den Grünen ist aber, soweit ich weiß, einmalig in seiner Gestaltung. Es bricht das den kompletten Inhalt grüner Politik herunter auf das Niveau eines zehnjährigen Kindes. So ganz und gar gereinigt vom sonst üblichen Duktus politischer Verlautbarungen, hat es nichts mehr von einem Kurs- sondern eher von einem Lehrbuch. Mehr noch – es ist ein von aller überflüssigen Rhetorik bereinigter Manipulationsversuch.

Vielleicht bin ich da etwas zu sensibel, aber ich kenne diese Art von „einfacher Sprache“ aus meiner Sektenkindheit. Die Bücher, die man uns gab, waren genauso aufgebaut. Eine klare Unterteilung in Gut und Schlecht, wobei die Guten natürlich diejenigen waren, die uns das Buch in die Hand gedrückt hatten. Bunte Bilder, die die knappe Botschaft sofort im kindlichen Gehirn verankerten.

Am Ende des Textes sieht man, wer dieses Programm gestaltet hat. Die Lebenshilfe Bremen e.V. Die Bilder stammen von der Lebenshilfe für geistige Behinderungen Bremen e.V. Das gibt einen Hinweis auf die Zielgruppe und ich bin mir sicher, es steckt eine noble Idee dahinter. Mich schreckt sie trotzdem ab. Nicht weil ich der Meinung bin, jemand, dem Politik nur auf diese naive Art nähergebracht werden kann, sollte nicht wählen gehen. Sondern weil ich mir vorstelle, dass viele, die auf diese leichte Sprache angewiesen sind, ein solches Programm von Menschen angetragen bekommen, denen sie vertrauen und die ihrerseits schon einen politischen Standpunkt haben.

Nein liebe Grüne, mit Inklusion und Integration hat das nichts zu tun. Und auch das Argument, die anderen Parteien seien ja selbst dran schuld, wenn sie nicht auf eine solche Idee kommen, zählt nicht. Nicht, wenn man immer so hoch auf dem moralischen Ross daher reitet.

 

Am Sontag sind dann noch CDU, SPD und die FDP an der Reihe. Und dann wird es Zeit für eine Entscheidung.

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